Die Nolde Debatte
Emil Nolde ist einer der bedeutendsten deutschen Expressionisten. Obwohl er Mitglied der dänischen NS-Partei ist, wird er 1937 von den Nazis als „entarteter Künstler“ denunziert. Doch Nolde war Nazi und Antisemit. Hierzu zwei der Filmdokumente, die ich in den vergangenen Jahren gesammelt habe.
1947, zu seinem 80. Geburtstag, veröffentlicht die Wochenschau der amerikanischen Besatzungsmacht einen Filmbeitrag über Emil Nolde. Der Erzähler versucht, Nolde als positive Figur für einen Neuanfang von Kultur und Kunst in Deutschland darzustellen. Die Geschichte des „Verfehmten“ wird für lange Zeit das offizielle Bild von Nolde in Nachkriegsdeutschland prägen.
Entartete Kunst
1937 wird in München das „Haus der Deutschen Kunst“ eröffnet. Die dort ausgestellten Werke sind auf einem eher simplen künstlerischen Niveau, ein dem Führer Hitler gefälliger, kitschiger Realismus. Einen Tag zuvor wird eine andere Bilderschau im Münchner Hofgarten eröffnet. Die Austellung „Entartete Kunst“. Plakatiert in der ganzen Stadt mit knallroten Postern. Eine klassisch populistische Argumentation gegen „Judencliquen“ und „Literaten“, die „gewissenlos Millionenbeträge deutschen Volksvermögens verschleuderten“. In dieser Schau wird nahezu die gesamte Prominenz der deutschen Kunst des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts geschmäht. Auch hierzu habe ich in den National Archives ein einzigartiges Filmdokument gefunden, das der Amerikaner Julien Bryan 1937 in München gedreht hat.
Das in den Originalfarben markierte Bild am Schluss des Films ist „Christus und die Sünderin“ von Emil Nolde. Es wurde 1929 von der Berliner Nationalgalerie erworben. Um die Anerkennung der expressionistischen Künstler tobt damals in der Weimarer Republik ein heftiger Streit.
Rückblick: Die Berliner Secession
Seinen ersten großen Anlauf um Anerkennung unternimmt Nolde 1910 in Berlin. Es gärt damals in der Kunstszene, in München hat der Blaue Reiter für Skandal gesorgt, in Berlin wollen Nolde und die Maler der „Brücke“ ebenfalls eine Revolution unternehmen. Doch die Bilder Noldes werden von der Berliner Künstlervereinigung Secession zurückgewiesen. Mit dieser Zurückweisung beginnt die Geschichte des Antisemitismus von Emil Nolde. Der Kunsthändler Paul Cassirer und der Maler Max Liebermann, beide Juden, bestimmen die Geschicke der Secession und werden Noldes Intimfeinde. Bei dieser persönlichen Gegnerschaft ging es auch um Noldes bedrohte wirtschaftliche Existenz als freier Künstler.
Die Anerkennung
1927 hat Nolde seinen 60. Geburtstag gefeiert und die Kunsthalle Dresden hat ihm mit einer großen Werkschau die längst fällige öffentliche Würdigung verliehen. Nolde ist ein sehr ehrgeiziger Maler, der den expressionistischen Stil als einzigartige Darstellungsweise versteht. „Ich möchte gerne, dass meine Bilder mehr sind und keine zufällige schöne Unterhaltung, nein, dass sie (…) dem Beschauer einen Vollklang vom Leben und menschlichen Sein geben“, schreibt er. Seit 1927 ist Nolde einer der großen Stars der klassischen Moderne in Deutschland. Aber er bleibt Antisemit und versucht sich nach 1933 den Nazis anzudienen. Wird Mitglied der dänischen NS-Auslandsorganisation (Nolde ist dänischer Staatsbürger) und versucht mit allen Mitteln, Hitler zu gefallen. Hans Fehr, der vielleicht beste Freund Noldes, schrieb: „Da aber bei Nolde alles aus einem Urtrieb, aus einer Urkraft, fern vom Verstande, geboren wurde, sah er sein Innerstes verletzt, wenn einer diese geheimnisvolle Welt anzutasten wagte.“ Die tiefe Verletzung aus den Jahren vor 1927 erklärt vielleicht die Nähe zu den Nazis. Und Nolde begriff sich immer als Maler des Nordischen. Dennoch, Noldes Kunst in ihrer radikalen Subjektivität ist als Staatskunst des gleichgeschalteten Naziregimes schlechterdings nicht vorstellbar.
Ungemalte Bilder
Nach der Schmähung von 1937 wird Nolde mit einem Verkaufs- und Malverbot belegt. 1052 Werke werden aus den Museen entfernt und großen Teils gegen Devisen zur Finanzierung der Aufrüstung verhökert. Die „Verbreitung und Vervielfältigung“ seiner Werke wurde verboten.
Im Schreiben vom 23. August 1941 untersagt der Präsident der Reichskammer der bildenden Künste Adolf Ziegler, ein Kunstmaler der im Volksmund der „Meister des deutschen Schamhaares“ genannt wird, Emil Nolde „mit sofortiger Wirkung jede berufliche – auch nebenberufliche Betätigung auf den Gebieten der bildenden Künste“. 3 Monate später wird dem Maler auch der „Absatz, die Verbreitung und Vervielfältigung der im besonderen aufgeführten Erzeugnisse“ (seiner Bilder) untersagt.
Es wird eingewandt, dass die hohe Einnahme aus Verkäufen im Jahr 1940, die Nolde in der Entnazifizierungserklärung 1947 angibt, dass es ihm ja durchaus gut gegangen sei. Nicht gesagt wird, dass die Einnahmen 1942 nur noch ein Zehntel derer von 1940 betrugen. Natürlich musste der damals schon über 70jährige Nolde nicht, wie andere Verfolgte und Entrechtete, um sein Leben fürchten. Und einige private Käufer, wie der Hannoveraner Fabrikant Sprengel, haben ihn bis zum Verkaufverbot mit hohen Summen für Ölgemälde unterstützt. Doch das Verbot seiner Arbeit brachte den großen alten Künstler an den Rand der Verzweifelung.
Er schreibt 1942 an Hans Fehr. „Gearbeitet habe ich seit dem ersten August nichts mehr. (…) Nicht zu wissen, was man ‚darf‘ und ’nicht darf‘ und dies Damoklesschwert über den Kopf hängend haben – muß nicht dann die an sich schon sensible Künstlermuse den Menschen verlassen?“
Neue Dokumente belegen den auch nach 1937 fortdauernden Versuch Noldes, die Nazis doch noch umzustimmen. Der Chef Berliner Nationalgalerie hat unlängst in den Abendnachrichten des Fernsehens bekannt, auch er (wie die Kanzlerin!) würde in seine Wohnung keine Noldes mehr hängen wollen. Eine denkwürdig peinliche Aussage. Sie läuft auf das Gleiche hinaus, was die Nazis mit den „entarteten Künstlern“ gemacht haben.
Die Verantwortung
Der politische Mensch Nolde hat geirrt, der Künstler aber ist seinen Weg gegangen. Ein Künstler vom Rang Emil Noldes hat eine besondere Verantwortung für sein Verhalten. Die Tatsache, dass er Antisemit war und dass die Entrechtung und Vernichtung seiner jüdischen Mitbürger nach 1933 bei ihm nicht zu einem Umdenken und klaren Bruch mit der Nazi-Ideologie geführt hat, ist jetzt zum Glück aufgeklärt worden. Es bleiben also Fragen: Warum versagte das moralische Gesetz in ihm? Als einer der prominentesten Künstler der Weimarer Zeit hatte er Freunde unter den Künstlerkollegen, die schon 1933 in die Emigration getrieben wurden. Darunter Paul Klee, den er 1935 in der Schweiz getroffen hat. Was haben die Künstler besprochen? Anscheinend hat Nolde, wie so oft, geschwiegen.
Nolde biederte sich dem Naziregime an, wie Martin Heidegger, Paul Hindemith und Richard Strauss, Gottfried Benn, Walter Gropius oder Mies van der Rohe. Die populistische Banalität, die vulgäre, plebejische und blutgierige Gewalt und den kleingeistigen Geschmack des Nazi-Reichs erkennen sie erst, als es längst zu spät ist. Sie sind der Faszination des Bösen erlegen, wo man doch gerade bei ihnen Immunität erwarten müsste. Der französische Kunsthistoriker Jean Clair nennt das eine „Demütigung unserer moralischen Hierarchien“.
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