Trotzki bei Frida Kalo
Der Film zeigt Lew Bronstein alias Leo Trotzki in Mexiko 1937. Das Jahr 1937 ist ein Schlüsseljahr des 20. Jahrhunderts. 1937 finden in Moskau die großen Schauprozesse gegen „Trotzkisten“ statt, die in ein Jahr des „großen Terrors“ münden, mit dem Stalin und seine Kumpane nicht nur die alte Garde der Revolutionäre von 1917 liquidiert, sondern etwa 2 Millionen Menschen verhaften lässt, von denen die wenigsten überlebt haben. Moskau 1937 steht als Zivilisationsbruch neben den anderen, von deutscher Seite verübten Verbrechen. Der Film zeigt eine zentrale Zielperson von Stalin, die zunächst entkommen konnte. Lew Bronstein alias Leo Trotzki, der große bolschewistische Revolutionär, floh über die Türkei und Norwegen bis nach Mexiko.
Leo Trotzki im Garten der Casa Azul. Foto: Historiathek
Trotzki mit Jean van Heijenoort und Jan Frankel. Foto: Historiathek
Frida Kahlo (2.v.r.) und Dewey Kommission auf der Terrasse der Casa Azul. Foto: Historiathek
Benjamin Stolberg, John Dewey, Suzanne La Follette. Foto: Historiathek
Trotzki in der Casa Azul
Das nebenstehende Bild aus dem Filmmaterial wurde im Garten der Casa Azul von Frida Kahlo im Viertel Coyoacán in Mexiko City aufgenommen. Mich hat interessiert, welches Buch Trotzki liest. Es ist „Experience and Nature“ von John Dewey. Vom Buchtitel aus ließ sich der Zusammenhang der Filmaufnahmen rekonstruieren. John Dewey leitet 1937 die „Dewey Kommission“, die eine Gegenuntersuchung zu den in Moskau stattfinden Schauprozessen gegen Trotzki, seinen Sohn Leon Sedov und das von Stalin erfundene „Trotzkistische Zentrum“ der führenden Bolschewiki durchführt.
Die Dewey Kommission
Die Kommission sollte ein unabhängiges Tribunal darstellen, das alle verfügbaren Fakten über den Moskauer Prozess ermitteln und ein Urteil auf der Grundlage dieser Fakten fällen sollte. „Die Unterkommission führte vom 10. bis 17. April 1937 dreizehn Anhörungen im Haus des Exilrevolutionärs in Coyoacan, Mexiko, D.F., durch. Während dieser Sitzungen erhielt sie Trotzkis Aussage und die seines Sekretärs Jan Frankel, nahm beide Zeugen ins Kreuzverhör, hörte Trotzkis Antwort auf die Anklagen gegen ihn und seine Gegenanklagen gegen die Sowjetregierung. Sie akzeptierte, vorbehaltlich der Überprüfung, solche dokumentarischen Beweise, die er vorzubringen hatte.“ Auf der Filmaufnahme sind Trotzki, Frankel und die Kommissionsmitglieder zu sehen.
Die Moskauer Prozesse
Stalin ließ zwischen 1936 und 1938 vier Schauprozesse gegen seine Rivalen aus den Führungsriege der KPdSU inszenieren. Dazu erfand er „trotzkistische Zentren“. Trotzki, sein gefährlichster Rivale, war bereits 1928 aus der Sowjetunion ausgewiesen worden. Im „Prozess der Sechzehn“ waren Sinowjew, Kamenew, Smirnow, Mrachkowski und andere die Angeklagten; im zweiten „Prozess der Siebzehn“ Pjatakow, Radek, Sokolnikow, Muralow, Serebrjakow und andere. Dann kam der geheime Prozess gegen Marschall Tuchatschewski und eine Gruppe der höchsten Generäle der Roten Armee im Juni 1937 und schließlich „der Prozess der Einundzwanzig“ gegen Rykow, Bucharin, Krestinski, Rakowski, Jagoda und andere im März 1938. Angeklagt wurden somit alle Mitglieder des Politbüros zur Zeit von Lenin, mit Ausnahme von Stalin selbst.
Die Angeklagten wurden beschuldigt, seit den frühesten Tagen der Russischen Revolution für die Geheimdienste Großbritanniens, Frankreichs, Japans und Deutschlands zu arbeiten und geheime Vereinbarungen mit Agenten Hitlers und Japans sowie mit Trotzki selbst zur Zerstörung der Sowjetunion eingegangen zu sein. Gefoltert und psychisch gebrochen bekannten sich alle schuldig, wurden allein aufgrund ihrer Geständnisse verurteilt und hingerichtet. Einen interessanten Blick auf diese Zeit der KPdSU wirft das neue Buch über die Entstehung des „Kurzen Lehrgangs der Geschichte der kommunistischen Partei“ – „Stalins Meistererzählung“ die 1938 erschienen ist.
Mexiko im April 1937
Die Anhörungen von Trotzki durch die Unterkommission in Mexiko fanden im April 1937 zwischen dem zweiten und dem dritten Moskauer Prozess statt. In den Prozessen vom August 1936 und Januar 1937 waren Trotzki und sein Sohn Sedow in Abwesenheit für schuldig erklärt worden. Sie hatten über die Weltpresse ihre Schuld geleugnet und ihrerseits die Sowjetregierung beschuldigt, ihre Verurteilungen auf falsche Beweise gestützt zu haben. Die erzwungenen Geständnisse der Angeklagten in den Schauprozessen waren die einzige Grundlage für die Urteile.
Trotzki war der einzige unter den angeklagten bolschewistischen Führern, der sich dem Zugriff Stalins entziehen konnte. Als Sinowjew und Kamenew vor Gericht gestellt wurden, hatte Trotzki Moskau herausgefordert, seine Auslieferung aus Norwegen zu beantragen, wo er damals im Exil lebte. Dieses Verfahren hätte seinen Fall vor ein norwegisches Tribunal gebracht. Stattdessen internierte jedoch die norwegische Regierung Trotzki und sein Frau. Schließlich erhielt Trotzki Asyl in Mexiko und wurde im Januar 1937 in Frida Kahlos blauem Haus in Coyoacán empfangen.
Die Mitglieder der Kommission
Im Filmmaterial sind Mitglieder der Dewey Kommission zu sehen. Das waren John Dewey, ihr Vorsitzender, Amerikas führender Philosoph und Liberaler; der im mexikanischen Exil lebende Otto Ruehle, Biograph von Karl Marx und ehemaliger sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter, der mit Karl Liebknecht 1915 gegen die Kriegskredite gestimmt hatte; Benjamin Stolberg, Suzanne La Follette und Carleton Beals, amerikanische Journalisten; Alfred Rosmer, ein französischer Kommunist; Wendelin Thomas, Anführer des Wilhelmshavener Matrosenaufstands im November 1918 und später kommunistisches Mitglied des deutschen Reichstags; Edward A. Ross, Professor für Soziologie an der Universität von Wisconsin; John Chamberlain, ehemaliger Literaturkritiker der New York Times; Carlo Tresca, bekannter italienisch-amerikanischer Anarchistenführer; und Francisco Zamora Padilla, mexikanischer Journalist.
Die ersten fünf, also Ruehle, Dewey, Stolberg, La Follette und Beals bildeten die Unterkommission, die nach Coyoacan reiste. John Finerty, berühmt als Verteidiger in so großen amerikanischen politischen Prozessen wie dem gegen Sacco und Vanzetti, fungierte als Rechtsbeistand der Kommission. Albert Goldman aus Chicago war Trotzkis Anwalt. Sie sind auf der Terrasse des Blauen Hauses zusammen mit Frida Kahlo und möglicherweise auch André Breton zu sehen.
Filmaufnahmen von Trotzki im Haus von Frida Kahlo
Frida Kahlo 1937. Fotografiert von Toni Frissell. Quelle: Historiathek
Der Zivilisationsbruch von 1937
Die Opfer der Moskauer Schauprozesse „verschwanden im Schatten der Jahrhundertverbrechen der Nazis“ stellt Karl Schlögel in seinem Buch „Terror und Traum – Moskau 1937“ fest. Innerhalb von 2 Jahren wurden in der Sowjetunion 2 Millionen Menschen verhaftet, etwa 700.000 von ihnen ermordet und nur wenige überlebten die Lagerhaft in den Stätten des GULAG. Nur 20 Jahre nach der russischen Revolution endeten die Träume der Revolutionäre in einer Gewaltherrschaft, der ein Großteil von ihnen selbst zum Ofer fiel.
Opfer der eigenen Religion
Wie war das möglich? Die Blutspur beginnt 1917, mit dem bolschewistischen Putsch in Moskau. Für die zahllosen Verbrechen im folgenden Bürgerkrieg war Trotzki selbst einer der Hauptverantwortlichen. Er rechtfertigt in seinem Traktat „Terrorismus und Kommunismus“ den roten Terror mit dem weißen Terror.
Für die Anhänger des Kommunismus waren die Revolution, die kommunistische Partei und später ihr Anführer Stalin eine Art Religion geworden, mit dem Anführer als unfehlbarem Gott. Die zentralistische Kommandostruktur der russischen Partei, die auf Lenin und Trotzki selbst zurückgeht, ermöglichte dem skrupellosen Stalin die Ausschaltung seiner Rivalen und die Errichtung seiner mörderischen Diktatur. Die Opfer des Zivilisationsbruchs, den Stalin verantwortet, verschwanden im Vergessen. Eine gute Darstellung dazu bietet Orlando Figes in seinem Buch „Die Flüsterer“. Doch die sowjetische Geschichte ist Teil der europäischen Geschichte und der Weltgeschichte. Die Erinnerung an den stalinistischen Terror gehört zur Selbstverständigung darüber, was in Europa im 20. Jahrhundert geschehen ist.
Frida Kahlo und Trotzki
Die Künstlerin Frida Kahlo war mit dem mexikanischen Maler Diego Rivera verheiratet. Rivera hatte 1928 nach einer Reise durch die Sowjetunion mit Stalin gebrochen und war aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen worden. In den 1930er Jahren sympathisierte er mit Trotzki und setzte sich dafür ein, dass Trotzki in Mexiko politisches Asyl erhielt. Kahlo nahm das Ehepaar Trotzki im Januar 1937 in ihre Casa Azul auf, in dem im April 1937 die Filmaufnahmen entstanden.
Die Aufnahmen aus Mexiko zeigen neben Frida Kahlo und den Mitarbeitern Trotzkis einen illustren Kreis an linken und liberalen Intellektuellen, die fassungslos vor den Ereignissen in Rußland standen. Der Bericht der Dewey Kommission spricht Trotzki von den Anschuldigungen der Stalinisten frei. Die Kommission war dabei bemüht, keinen Verdacht aufkommen zu lassen, etwa ein Parteigänger Trotzkis zu sein. Ihr ging es um Recht und Rechtsstaatlichkeit, die es in der Sowjetunion nicht gab.
Ein Nachklang des Aufenthalts von Trotzki bei Frida Kahlo ist eine heftige Affäre der beiden. Die Kahlo läßt sich 1939 von Diego Rivera scheiden. Doch schon ein Jahr später heiraten die beiden erneut.
Trotzki war ein Opfer Stalins, was jedoch nichts über seinen eigenen Charakter aussagt. Jegor Jakowlew, einer der Vordenker der Perestroika, nennt ihn einen „erbarmungslosen Menschen mit blutbefleckten Händen“. Trotzki sah bereits Ende der 1930er Jahren den Zusammenbruch der Stalin’schen Terrorherrschaft voraus und erwartete für Rußland die Restauration einer neuen Bourgeoisie aus Verbrechern und Geheimdienstlern. Er sollte sich in diesem Punkt nicht täuschen. 1940 endet das Leben von Lev Bronstein Trotzki nur einige Häuser weit vom Schauplatz dieser Aufnahmen entfernt, als ein Agent der stalinistischen GPU ihn kaltblütig mit einem Pickel erschlägt.
sehr interessant.
Haben Sie Informationen zu Trotzkis Verbrechen
Trotzki war ein brutaler Organisator der blutigen Revolution und als Verantwortlicher in zahlreiche Verbrechen verstrickt. Näheres dazu schrieb in den 1970er Jahren zum Beispiel: Leszek Kolakowski, Die Hauptströmungen des Marxismus, Bd. III, München/Zürich 1979.